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Vernichtungskrieg

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Jeffrey Herf: The Jewish Enemy - Nazi Propaganda During World War II and the Holocaust, Cambridge und London 2006

Jeffrey Herf, an der Universität von Maryland lehrender Historiker, untersucht die Art und Weise, wie die nationalsozialistische Propaganda der deutschen Öffentlichkeit zwischen 1939 und 1945 einen angeblichen jüdischen Feind präsentierte. Herf hat zu diesem Zweck sämtliche Ausgaben des Völkischen Beobachters und zahlreicher anderer Zeitungen durchgesehen, zeitgenössische, in Deutschland erschienene Broschüren und Bücher zum Thema gesichtet und ist die Wandzeitungen mit der "Parole der Woche" durchgegangen, mit denen das NS-Regime eine einheitliche Volksmeinung zu erzielen versuchte.

Herf kommt auf dieser Basis zu der Ansicht, bisher sei die Rolle von Tageszeitungen gegenüber den Wandzeitungen zu hoch eingeschätzt worden und was die Zeitungspublikationen selbst betreffe, so sei die Lenkung durch Reichspressechef Dietrich und Hitler selbst wesentlich einflussreicher gewesen als die durch Joseph Goebbels, der die Presse weitaus weniger beeinflusst habe als normalerweise angenommen.

In der Sache selbst schildert Herf kenntnisreich die zusehends hysterischer werdenden Anläufe der Propagandatexte, den Zweiten Weltkrieg als eine gemeinsame Verschwörung gegen Deutschland darzustellen. Hinter der englischen, sowjetischen und schließlich amerikanischen Feindschaft präsentierte die NS-Presse dem deutschen Publikum eine angebliche gemeinsame jüdische Strategie. Die Zahl der Leitartikel im Völkischen Beobachter zum Thema erreichte 1943 mit fünfzig den deutlichen Höchststand. Ob die Deutschen dies mehrheitlich oder auch nur zu großen Teilen glaubten, darüber traut sich Herf kein Urteil zu, ebenso wie er die immer wieder gestellte Frage nach dem Mitwissen der Deutschen in Holocaust-Angelegenheiten nicht abschließend beantworten will. Jenseits des klaren Nachweises, daß den Deutschen insgesamt die Vorstellungen der NS-Führung über den "Jewish Enemy" mehr als deutlich eingehämmert wurden, bleiben aus seiner Sicht noch offene Fragen.

Merkwürdig widersprüchlich bleibt seine Einschätzung der NS-Führungsspitze selbst. Hitler, Goebbels und Co. sind ihm einerseits Fanatiker, die sich in einem immer neu selbsterfüllenden Verfolgungswahn seitens der Juden verstrickt hatten. Sie glaubten seiner Ansicht nach an den jüdischen Feind. Andererseits bleiben sie aber für ihn bewusste Lügner, so etwa bei Hitlers im Januar 1939 für den Fall eines weiteren Krieges ausgesprochenen "Ausrottungsprophezeiung" für das europäische Judentum. Hitler habe dies, so Herf, im klaren Bewusstsein ausgesprochen, selbst einen Krieg vom Zaun brechen zu wollen, also sich quasi selbst einen Vorwand verschaffen wollen. Beide Deutungen passen nicht widerspruchsfrei zusammen.

Trotz dieser und gelegentlicher anderer Mängel - so sind die statistischen Angaben nicht immer über jeden Zweifel erhaben - ist dies insgesamt eine materialreiche, unaufgeregt geschriebene und weiterführende Studie über die antijüdische Propaganda des NS-Regimes.