Vernichtungskrieg Besprechungen: Dirk Bavendamm:
Der junge Hitler - Korrekturen an einer Biographie 1889-1944, Graz: Ares
Verlag 2009, 592 S., Hardcover, 29,90 EUR Mit der
angezeigten Biographie hat Dirk Bavendamm eine Arbeit vorgelegt, welche die
Adolf Hitler prägenden Jugendjahre in Oberösterreich, Wien und München näher
unter die Lupe nimmt. Der Autor stellt dabei fest, daß diese Lebensphase in
den einschlägigen Hitler-Biographien von Fest (1) bis Kershaw (2) stets nur
ein Schattendasein fristen. Joachim Fest verwendet gerade mal 7 Prozent des
Gesamtumfanges seiner Biographie auf die Hitler prägenden Jugendjahre, Ian
Kershaw sogar nur 5 Prozent. Bavendamm stellt einen pejorativen Unterton in
der herkömmlichen Hitler-Biographik fest, die dem Umstand geschuldet ist,
alles zu vermeiden, was eine zu große, wenn auch nur aus wissenschaftlichem
Erkenntnisdrang geleitete, Nähe zum Untersuchungsgegenstand haben könnte. Bei Brigitte
Hamann (3) geht diese Distanz so weit, den Namen "Hitler" kein
einziges Mal auszuschreiben, sondern sich mit einem bloßen "H." zu
begnügen. Daraus ergibt sich der Eindruck, der Forscher möchte seinem
Protagonisten gar nicht nahe kommen. Das Gegenteil ist jedoch die
unabdingbare Voraussetzung für einen guten Biographen. Ein weiterer Grund für
die Distanz ist die Überzeugung, Hitler sei nichts anderes als ein
gescheiterter, faul in den Tag hineinlebender Taugenichts gewesen, der
einschneidenden Bildungseinflüssen gegenüber immun gewesen sei. Mit diesem
Vorurteil räumt Bavendamm auf. Hitler war nicht ungebildet, sondern sei wie
die meisten Menschen in ihrer Pubertät ein Selbstdenker, ein Wahrheitssucher,
ein kleiner Philosoph gewesen (S. 544). Er war Produkt der vom
Deutschnationalismus durchdrungenen Alltagskultur, welche nach der
kleindeutschen Reichseinigung 1871 in deutschsprachigen Gebieten
Österreich-Ungarns immer wirkungsmächtiger wurde. Schon früh übte sich der
junge Hitler im Widerspruch an den angeblich sakrosankten Autoritäten, sei es
in Richtung auf seinen Vater oder direkt aufs Kaiserhaus. So erschien er
provokativ mit schwarzrotgoldener Kokarde oder blauer Kornblume am Revers im
Schulunterricht. Ohne selbst je Student gewesen zu sein, ist seine Nähe zur
akademischen Jugendbewegung überdeutlich. Das Leben, das er und sein Freund
August Kubizek in Wien führten, ähnelte dem von Studenten. Das studium
generale (S. 146), dem Hitler sich unterzog, umfaßte die Gebiete Malerei,
Musik, Architektur und Geschichte. Die deutsche Hochkultur, vom deutschen
Legenden- und Sagenschatz, von deutscher Geschichte - angefangen bei Arminius,
über Luther und Friedrich dem Großen bis Bismarck, Schillers Dramen, der
Philosophie Schopenhauers und Nietzsches sowie die Opern Wagners und deren
Interpretation durch Gustav Mahler, prägte den jungen Hitler. Sein politisches
Programm adaptierte er von wichtigen Politikern seiner Zeit, das Nationale
vom Alldeutschen Georg von Schönerer, das Soziale vom Wiener Bürgermeister
Karl Lueger. Hitlers Bild des Zukunftsstaates war die "monarchische
Republik" mit einem "Heldengenie" an der Spitze (S. 444). Sein
politisches Erziehungsprogramm sah vor, durch Vermittlung ästhetischer
Genüsse die Volksgemeinschaft der Deutschen heranzubilden. Noch
charakterisierte seine Einstellung eine völkische Weltanschauung ohne
manifesten Antisemitismus. Wann er zum radikalen Antisemiten wurde, kann
nicht mir Bestimmtheit gesagt werden. Sicher ist nur, daß Hitlers Judenhaß
nicht, wie in "Mein Kampf" geschildert, ihn praktisch über Nacht in
Wien ereilte. Historisch einwandfrei belegbar wird sein Antisemitismus erst nach
dem Ersten Weltkrieg. Hitlers
völkischer Nationalismus sei nicht als Zurückweisung, sondern als
Intensivierung der Werte der Aufklärung und so der "Werte des
Westens" zu verstehen (S. 544). Dabei ist bemerkenswert, wie ungefestigt
die politische Richtung Hitlers bis 1919 noch gewesen ist. 1918 war er
Parteigänger der linken sozialistischen Räterepublik Eisners in Bayern, und
erst unter dem Schock der Versailler Friedensbedingungen wandte er sich dem
rechten politischen Lager zu. Hitlers Durchbruch zum nationalsozialistischen
Ideologen sei nicht in der Frontstellung gegen den Kommunismus sowjetischer
Provenienz erfolgt, sondern gegen den Kapitalismus westlicher Prägung (S.
550). Denn das Versailler Friedensdiktat war für ihn – und hier stimmt er mit
Lenins Einschätzung überein – auch ein brutaler Fesselungsversuch des
westlichen Hochkapitalismus gegenüber dem wirtschaftlichen Konkurrenten
Deutschland. Somit scheint sich zu bestätigen, was bereits Theodor Heuss (4)
1932 schrieb: der Geburtsort des Nationalsozialismus sei nicht München,
sondern Versailles gewesen. Die verkürzten
bibliographischen Angaben in den Fußnoten und das thematisch gegliederte
Literaturverzeichnis verwirren mehr, als sie helfen. Auch das Fehlen eines
Stammbaumes der verzweigten Familie Hitlers ist zu bemängeln. Dies
beeinträchtigt jedoch in keiner Weise den positiven Eindruck dieser Studie,
an der auch die etablierte Hitler-Forschung nicht mehr vorbeigehen kann.
Jedoch steht zu befürchten, daß sich die der politischen Korrektheit
geschuldeten Tabus stärker erweisen werden als das Streben nach
wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn. Endnoten: 1) Joachim C.
Fest: Hitler. Eine Biographie, Berlin 1973. 2) Ian Kershaw:
Hitler 1889 – 1936, Stuttgart 1998. 3) Brigitte
Hamann: Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators, München 1996. 4) Theodor Heuss:
Hitlers Weg, Stuttgart – Berlin – Leipzig 1932. O.H.
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