Vernichtungskrieg Besprechungen: Ian Cobain: Cruel Britannia - A secret history of
torture, London 2012, 345 S. Die Sorge um
seinen guten Ruf hat das britische Empire stets begleitet. Man verstand sich
in London gerne als Kulturträger und weltweiter Verbreiter von Zivilisation,
Anstand und Fairness. Die Ausdehnung des eigenen Machtbereichs über praktisch
den gesamten Erdball folgte demnach folgerichtig keinem Stufenplan zur
Welteroberung, sondern einer Art Zwangsläufigkeit der kulturellen
Überlegenheit über das Barbarentum anderer Länder und Kontinente. Und was
derart auf der großen politischen Bühne galt, sollte sich im Kleinen
fortsetzen. Es gehört nicht zum offiziellen britischen Selbstverständnis,
sich an Unterlegenen zu vergreifen, zu foltern, oder "bei Nacht und
Nebel" Personen verschwinden zu lassen. Daß dies auf
beiden Ebenen eine recht dünne Fassade war, hinter der sich ein Imperium
versteckte, das in seiner Geschichte vielfach internationale Verbrechen und
solche gegen die Menschlichkeit begangen hat, konnte man bei etwas historischer
Bildung immer wissen. Dennoch betritt Ian Cobain ein wenig Neuland, wenn er
nun mit "Cruel Britannia" die britische Foltergeschichte der
jüngeren Zeit aufgreift. Cobain ist
Journalist und arbeitet für den Londoner "Guardian". Zu seinem
ersten, jetzt vorliegenden Buch hat er sich unter dem Eindruck der Ereignisse
nach den New Yorker Anschlägen des 11. September 2001 entschlossen. Der
Gegenterror, mit dem die USA weltweit die Verdächtigen überzogen, denen man
Billigung oder aktive Unterstützung islamistischer Anschläge unterstellte,
traf auch britische Staatsangehörige. Das zu diesem Zweck eingerichtete Lager
Guantanamo kannte jeder. Aber es gab noch mehr. Zwar dauerte es einige Jahre,
aber schließlich wurden auch für die Öffentlichkeit die Umrisse eines Netzwerks
von weiteren Geheimgefängnissen außerhalb des amerikanischen Staatsgebiets
erkennbar. Dort wurde ohne jeden Rechtsschutz gehandelt und gefoltert, und
dies, wie Cobain trotz aller Dementis des britischen Außenministeriums
belegt, mit Wissen britischer Stellen eben auch an eigenen Staatsbürgern. Bei dieser
Erkenntnis bleibt Cobain aber nicht stehen. Er hat nach einer Vorgeschichte
dieses Verhaltens gesucht und sie gefunden. Ob während des Zweiten Weltkriegs
und nach Kriegsende, ob im Kalten Krieg oder in den Kolonialkonflikten, unter
denen das britische Empire auseinanderfiel: Es wurde immer gefoltert. Das
gleiche galt für Nordirland oder eben auch für den Irak-Krieg nach 2003, ohne
daß britische Stellen von amerikanischen zu Foltermaßnahmen genötigt worden
wären. Aus deutscher
Sicht sind natürlich die Geheimgefängnisse von besonderem Interesse, die 1945
in der britischen Besatzungszone eingerichtet wurden. Ihre Existenz spielte
für das Bild der Nachkriegszeit bisher praktisch keine Rolle. Mit Interesse
nimmt man zunächst zur Kenntnis, daß in London bereits 1938 über Wege
nachgedacht wurde, für den nächsten Krieg zu erwartende deutsche Gefangene
auszuhorchen. Bereits im März 1939 wurde ein "Combined Services Detailed
Interrogation Centre" oder "CSDIC" gegründet, das
deutschsprachige Offiziere aller Waffengattungen und Richtungen
zusammenführte. Das CSDIC arbeitete während des Krieges mit raffinierten wie
mit brutalen Methoden an der Gewinnung von Informationen. Schließlich wurde
auch zum Zweck der Strafverfolgung gefoltert. Es war ebenfalls
das CSDIC, das dann 1946 auch jenes Befragungszentrum in Bad Nenndorf bei
Hannover betrieb, dessen Existenz in den letzten Jahren ruchbar georden ist.
Extremes Untergewicht durch systematische Aushungerung, Erfrierungen,
Lungenentzündungen und die Spuren ungezählter Schläge kennzeichneten die
Überlebenden der dortigen Befragungstortur, die über das Land verteilt in
medizinische Behandlung gegeben wurden, um die Gesamtzahl zu verschleiern.
Starb jemand, wurde er zu Tarnzwecken gelegentlich unter falschem Namen
beerdigt und als britischer Toter gezählt. Hinter diesen
Methoden steckte System, wobei Cobain darauf achtet, die Täter möglichst
präzise zu fassen. Natürlich konnten diese Vorgänge nur deshalb so unbemerkt
bleiben, weil auch der Löwenanteil der britischen Dienststellen nicht von
ihnen wußte. Immerhin deckt er aber einen Traditionsstrang auf, der sich von
der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in den Irakkrieg nach 2003 zieht. Die
Methoden, einen beliebigen Gefangenen zu zermürben und zu foltern, wurden
dabei stetig verfeinert. Ziel war es unter anderem, bei den Delinquenten
keine beweisbaren Spuren mehr zu hinterlassen. Das CSDIC wurde
auf diesem Weg mehrfach umbenannt und firmierte etwa im Irakkrieg schließlich
als Joint Services Intelligence Organisation (JSIO). Cobain schreibt es trotz
aller Spuren weniger dem hergebrachten System als dem Fehlen einer
"klaren Doktrin" zu, wenn man dort "in alte Traditionen"
zurückgefallen sei. Daran wird so viel richtig sein, daß die Ausübung
unkontrollierter Gewalt von Personen über andere Personen immer wieder aus
dem Ruder laufen wird. Wer sich für nichts verantworten muß, wird dazu
neigen, unverantwortlich zu handeln. Insgesamt bleibt
ein beeindruckendes Bild zurück. Der "Westen", Großbritannien
eingeschlossen, war noch nie so moralisch einwandfrei, wie er sich selbst
gern gegeben hat und wohl auch empfand. Der "Kampf gegen den
Terror" hat Löcher und Kratzer in diesem Bild hinterlassen und
hinterläßt täglich neue, angesichts weiter offener rechtsfreier Räume und
stetig fließender Nachrichten über weitere Geheimgefängnisse. Zusammen mit
Cobains Schilderung der Vergangenheit gibt das in erster Linie Anlaß zum
Nachdenken über mögliche Konsequenzen, wenn die Krise des Westens sich weiter
verschärfen sollte. Aber schließlich hat man es ja nicht mit einem neuen
Phänomen zu tun..
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