Vernichtungskrieg Besprechungen: Trevor N. Dupuy: Der
Genius des Krieges. Das deutsche Heer und der Generalstab 1807 - 1945,
Graz: Ares Verlag 2009, 440 S., Hardcover, 29,90 EUR Das anzuzeigende
Buch des renommierten US-Militärhistorikers Trevor N. Dupuys (1916 – 1995)
genießt einen legendären Ruf. Es liefert die Erklärung dafür, warum
preußisch-deutsche Heere über einen Zeitraum von fast 140 Jahren militärisch
überlegen gewesen sind. Daher ist es dem Verlag hoch anzurechnen, dieses
bereits vor über 40 Jahren erschienene Werk ins Deutsche übertragen zu haben.
Die damit verbundenen Schwierigkeiten schildert der Übersetzer, General Franz
Uhle-Wettler, in seinem Vorwort. Der Autor räumt
mit der weit verbreiteten Ansicht auf, die Deutschen seien von ihrer
Mentalität her besonders militaristisch oder kriegerisch gewesen. Das
Gegenteil ist richtig. Vielmehr gelang es mit den preußischen Reformen
Scharnhorsts, militärische Leistungsfähigkeit im Generalstab zu
institutionalisieren und unter Berücksichtigung der neuesten Erkenntnisse und
technischen Entwicklungen den jeweiligen Zeitumständen anzupassen. So
erkannte der preußische Generalstab frühzeitig die Bedeutung des Telegraphen
und der Eisenbahn für das Heer. Ab 1848 wurde das Zündnadelgewehr eingeführt,
während andere Armeen noch lange auf Vorderlader setzten. Nach 1918 wurde
durch Motorisierung die Beweglichkeit der Truppen und die Waffenwirkung
verbessert, da die zu Fuß stürmende Infanterie sich als zu schwach gegen
starke Verteidigungsstellungen erwiesen hatte. Der wichtigste
Grund für die langandauernde militärische Überlegenheit ist nach Dupuy die
Auftragstaktik. Blinder Gehorsam und Untertanengeist sei entgegen der
landläufigen Meinung kein Charakteristikum der deutsche Heere gewesen. Selbst
Ausbildungsschriften der deutschen Wehrmacht werden nicht müde darauf
hinzuweisen, daß die Erziehung des Soldaten zur Unselbständigkeit, zum Warten
auf einen Befehl, die eigentliche Gefahr sei. 1 Vielmehr müsse
verlangt werden daß – wenn eine veränderte Lage es erfordere – nicht stur am
Wortlaut eines einmal gegebenen Befehls festgehalten werden dürfe, sondern
gemäß Lage im Sinne des Auftrags entschieden werden solle. 2 Kritisch
anzumerken ist, daß Dupuys Kenntnisse der deutschen Politikgeschichte
offenbar nicht so gefestigt sind. Daher ist das Vorgehen des Verlages,
mittels Anmerkungen der Redaktion oder des Übersetzers ergänzende oder
korrigierende Hinweise zu geben, eine gute Lösung. An zwei Stellen jedoch hat
der Herausgeber notwendige Berichtigungen nicht vorgenommen: 1) Bei Dupuy (S.
35) wird der Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. zum "kinderlosen
Neffen" Friedrichs des Großen. Richtig ist aber, daß Friedrich Wilhelm
II. Kinder hatte, sein Sohn folgte ihm als Friedrich Wilhelm III. auf den
Thron. 2) Auf Seite 243
stellt Dupuy den Sachverhalt so dar, als sei die Ausrufung der Räterepublik
durch Liebknecht vor der Ausrufung der sozialistischen Republik durch
Scheidemann erfolgt. Umgekehrt ist es richtig. Scheidemann rief die Republik
um 14.00 Uhr aus, Liebknecht folgte um 16.00 Uhr. Zeitweise
verliert Dupuy den "Generalstab" als Untersuchungsgegenstand aus
den Augen und referiert weit verbreitete Mythen, wenn er z. B.
Reichspräsident v. Hindenburg einen "halbsenilen Feldmarschall" (S.
303) nennt oder argumentiert widersprüchlich, so im Fall der SA, die einmal
eine "bewaffnete Bande von Rabauken" (S. 300), zwei Seiten später
aber eine "mächtige, disziplinierte Kraft" (S. 302) gewesen sein
soll. Zum Ende fängt er
sich wieder und liefert sogar eine herausragende Analyse (S. 394 ff.)der
Gründe, weshalb der Generalstab so gut war: 1) Auswahl der
Offiziere nach einer Prüfung (in der Bundeswehr z. B. ist die Prüfung
abgeschafft); 2) weitergehende
Ausbildung bei der Truppe; 3) Studium von
Ereignissen der Militärgeschichte als Fallbeispiele, das impliziert außerdem
Historiographie durch Soldaten selbst (ebenfalls in der Bundeswehr
abgeschafft); 4) Ermutigung zur
Eigeninitiative und Verantwortungsfreude (laut Aussage hochrangiger
Bundeswehr-Kommandeure seit den 1980er Jahren in der Bundeswehr auf dem
Rückzug); 5) Verpflichtung
zur Objektivität in der Lagebeurteilung; 6) Streben nach
taktischer Vollkommenheit;. 7) Regeneration
durch Innovation (auch durch Adaption von Neuerungen aus dem Ausland); 8) Weiterwirkung
der Lehren des Generalstabes in der ganzen Armee durch Lehrgänge/Schulungen
für alle Soldaten, umfangreiche Militärpublizistik, Traditionspflege orientiert
an hervorragenden militärischen Leistungen (ebenfalls in der Bundeswehr
abgeschafft). Dupuy ist der
Meinung, halte man sich an diese acht Punkte, könne jede Armee so eine
militärisch effiziente Institution wir den Deutschen Generalstab schaffen. Die Offiziere des
Generalstabs bildeten die Elite der Armee, die aufgrund der hohen
gesellschaftlichen Anerkennung die Besten der Besten aus der Bevölkerung
anzog. Strenge Auswahl, harte Ausbildung und ständige Einwirkung bis in die
letzte Kompanie sorgten für ein gleichbleibend hohes Leistungsniveau der
Streitkräfte über Jahrzehnte. Der deutsche Generalstab wurde zum Vorbild für
ähnliche Einrichtungen fremder Heere. Dupuy Urteil
findet Bestätigung in der Untersuchung des israelischen
Militärwissenschaftlers Martin van Creveld, der der deutschen Wehrmacht eine
frappierende Kampfwertüberlegenheit gegenüber allen ihren Gegnern attestiert.
3 Dem entgegen
steht offenbar die Bewertung im Führungsstab der Bundeswehr, Referat
"Innere Führung", wo die Meinung vertreten wird, das deutsche
Offizierkorps sei schlecht gewesen und habe im Ersten Weltkrieg
"vollständig versagt". 4 Auch in
Reichswehr und Wehrmacht hätten "praktisches Können, Charakter und
nationale Gesinnung über Eignung" gestanden. Erst mit dem zivilen
Hochschulstudium habe man Anfang der 1970er Jahre "den vollwertigen
Offizier" heranziehen können. Die Distanz zur "Inneren
Führung" haltenden kriegsgedienten Wehrmachtsoffiziere seien dagegen
reine "Praktiker" gewesen. 5 Diese
Einschätzung jedoch widerspricht der Aussage des Vaters der "Inneren
Führung", Wolf Graf Baudissin, der in seinem Buch "Armee gegen
Krieg" urteilte, daß die Innere Führung in gut geführten Einheiten im
Zweiten Weltkrieg bereits praktiziert wurde. Die Kriegsgedienten und die
durch sie geformten nachwachsenden Vorgesetzten waren es, die den jungen
Bundeswehrsoldaten ohne viel Auflebens die "Innere Führung"
vorlebten. 6 Beispiele, die
die Kampfwertüberlegenheit deutscher Soldaten in Sieg (Eben Emael 1940) und
Niederlage (Ardennen 1944) zeigen, runden die Darstellung Dupuys ab. Sie
machen deutlich, das zeitgemäße Menschenführung keine ureigenste Erfindung
der Bundeswehr gewesen ist, sondern auf Erfahrungen beruhte, die im Krieg und
Frieden von allen deutschen Armeen gemacht und durch den Generalstab
institutionalisiert wurden. OH Endnoten: 1.
Siegfried Sorge: Der
Marineoffizier als Führer uns Erzieher, 2. Aufl. Berlin 1940, S. 82. 2.
Ebd., S. 76. 3.
Martin van Creveld:
Kampfkraft, 4. Aufl. Graz 2009. 4.
Patrick Neuhaus:
"Geeignete Offiziere gibt es erst nach 1968", in: Junge Freiheit
36/2008. 5.
Ebd. 6)
Clemens Range: "Die Innere Führung steht auf dem Prüfstand", in:
Junge Freiheit 19/2007, S. 17.
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