Vernichtungskrieg Besprechungen: Michael
Epkenhans/Jörg Hillmann/Frank Nägler (Hrsg.): Skagerrakschlacht.
Vorgeschichte – Ereignis – Verarbeitung, München 2009, 390 Seiten. Die
drei Herausgeber legen mit diesem Werk die Vorträge einer wissenschaftliche
Tagung vom 31. Mai 2006 "90 Jahre Skagerrakschlacht" in gedruckter
Form vor. Wie bei derartigen Veranstaltungen des Militärgeschichtlichen
Forschungsamtes nicht anders zu erwarten, ist die Qualität der
veröffentlichten Beiträge höchst unterschiedlich. Den
Anfang macht der Befehlshaber der Flotte, Vizeadmiral Stricker, mit seinem
Geleitwort, in dem er es sich nicht nehmen läßt zu betonen, daß die
Skagerrakschlacht nicht zu den traditionsbildenden historischen Ereignissen
der Deutschen Marine gehört. Man berufe sich vielmehr auf die
"Paulskirchenflotte" und auf Traditionen, die die heutige Marine
selbst begründet habe (welche das sein sollen, sagt der Admiral nicht). Damit
wird klar, worauf gegenwärtig wert gelegt wird: die Gründung durch Beschluß
eines demokratisch gewählten Gremiums rangiert noch vor militärischer
Leistungsfähigkeit. Denn über die Flotte von 1848-53 sagen die Historiker,
sie sei "niemals voll einsatzfähig" gewesen, habe sich im Kampf
daher nie bewähren können und mußte wegen mangelnder Unterstützung
schließlich versteigert werden. In England sorgte ihre Gründung für höchstes
Mißvergnügen. Dafür war sie für ihre Zeit sehr "multikulturell",
denn die Besatzungen waren "zusammengewürfelt", in den Messen wurde
mehr englisch, französisch und niederländisch statt deutsch gesprochen.1
Im Gegensatz zum Admiral hofft der Rezensent, daß die heutige Deutsche
Marine diesem ihrem offiziellen Vorbild nicht allzu sehr nacheifert. In
der Herausgebereinleitung bemühen sich Epkenhans, Hillmann und Nägler zu
betonen, nicht wirtschaftlicher Wettbewerb, nicht konkrete politische
Streitfragen seien für die deutsch-britische Entfremdung vor 1914
verantwortlich gewesen, sondern einzig und allein die Irrationalität des
deutschen Flottenbaus (XIII). Leider verharren die drei Autoren in ihrem
germanozentrischen Weltbild, denn was ihnen heute als
"Irrationalität" erscheint, war in der Phase des Navalismus common
sense aller Großmächte. Vergleicht man die politischen Ansätze diesseits
und jenseits des Kanals, wird man mehr Übereinstimmungen als Unterschiede
erkennen. Bei den Briten heißt das dann indessen nicht
"Irrationalität", sondern z. B. "vitales politisches
Interesse". Nicholas
Rodgers Aufsatz "Deutsch-englische Flottenrivalität 1860 bis 1914"
ist diesem Denken verhaftet, konstatiert Rivalitäten in einer Zeit, in denen
eine deutsche Flotte praktisch nicht existent war, unterstellt dem Kaiser und
Tirpitz "geheime Absichten" und kommt zum Schluß, daß eine
Gleichberechtigung Deutschlands in der Flottenfrage nicht möglich gewesen
sei. In Deutschland habe man schlicht "den Verstand verloren" (S.
18). Und in England? Aber hier gilt wohl der alte Grundsatz: "Quod
licet Jovi, non licet bovi." Frank
Nägler nimmt in seinem Beitrag "Operative und strategische Vorstellungen
der Kaiserlichen Marine vor dem Ersten Weltkrieg" endlich einmal
Tirpitz’ Konzept der "Risikoflotte" ernst. Sie sollte die Royal
Navy lediglich vor einem Angriff abschrecken, ihr das Risiko dessen bewußt
machen. Niemals sei eine zur Offensive befähigende Stärkerelation angestrebt
gewesen. Die Hochseeflotte sei auf die strategische Defensive festgelegt
worden, die einen Angriff der Briten als Voraussetzung impliziere. James
Goldrick zeigt ("Die Royal Navy und der Krieg"), wie sehr die
Briten diesen Sinn der Tirpitz’schen Schöpfung verstanden hatten, denn –
entgegen der Erwartungen der Öffentlichkeit sowie der Matrosen und
Seeoffiziere – erschien der Marineführung nach Kriegsbeginn eine Schlacht,
sollten die Umstände nicht günstig für Royal Navy sein, als zu risikoreich.
Die Gefahr, daß mit einer Seeniederlage an einem Nachmittag der ganze Krieg
verloren gehen könnte, war zu groß. Die Briten taktierten vorsichtig,
tasteten den Gegner ab und versuchten, die Deutschen in eine Falle zu locken.
Auch Andrew Lambert analysiert in "The possibility of ultimate action in
the Baltic. Die Royal Navy im Krieg 1914-1916" die strategischen
Möglichkeiten zu Beginn des Weltkrieges und macht ebenfalls deutlich, daß die
Briten ihre Flotte keinem Risiko aussetzen wollten. Der Erste Lord der
Admiralität, Winston Churchill, war trotzdem nicht bereit, in der Defensive
zu verharren und verfolgte folgende Strategie: 1)
Säuberung der offenen See, 2) Säuberung der Nordsee, 3) Säuberung der Ostsee.
Die erste Phase war mit dem 8. Dezember 1914 erfolgreich abgeschlossen, als
mit der Schlacht bei den Falklandinseln das deutsche Kreuzergeschwader
vernichtet und hiermit gleichzeitig die Vorkriegsauseinandersetzung um
Kreuzer- oder Schlachtflottenkonzept im Sinne von Tirpitz bestätigt wurde.
Die Phase 2 jedoch, als Vorbedingung für Phase 3, ließ sich operativ und
politisch nicht realisieren, da bei einer Entscheidungsschlacht in der
Nordsee die Briten mehr zu verlieren hatten als die Deutschen. Um in die
Offensive zu gehen, verlegte Churchill den Schwerpunkt der
Seekriegsoperationen ins Mittelmeer. Das Ergebnis war das Fiasko der
Dardanellen-Operation 1915. Hier geht es weiter zu Teil 2 der Besprechung
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