Vernichtungskrieg Besprechungen: Herman Graml:
Bernhard von Bülow, Berlin 2012, 200 S. Mit Hermann
Graml hat sich einer der Altgedienten der deutschen Zeitgeschichtsforschung
noch einmal zu Wort gemeldet. Anlaß ist, wie Graml in einer Vorbemerkung
schreibt, die aktuelle Debatte um das Verhältnis des Auswärtigen Amts zur
Regierung Hitler. Seit das von Ex-Außenminister Fischer initiierte Gutachten
einer Historikerkommission vor zwei Jahren auftragsgemäß den Versuch
unternommen hat, das "Amt" nicht nur zu einer willig ausführenden,
sondern zu einer eigeninitiativ verbrecherischen Organisation zu stilisieren
ist diese Diskussion nicht mehr wirklich abgerissen. Daß das Gutachten von
Ahnungslosigkeit nur so strotzt und entsprechend scharfe Kritiken auch von
Seiten bekannter britischer Historiker wie Richard Evans erfahren hat, tat
bisher seiner Wirkung allerdings wenig Abbruch. Graml nun spürt
dem Verhältnis von Amt und Diktatur in einem biographischem Essay nach, den
er Bernhard von Bülow gewidmet hat. Der Neffe des früheren Reichskanzlers
Bülow war als Staatssekretär und Behördenleiter noch zu Weimarer Zeiten im
Mai 1930 eingesetzt worden. Ebenso wie Außenminister Neurath blieb Bülow nach
1933 im Amt, in seinem Fall bis er 1936 mit nur einundfünfzig Jahren an den
Folgen einer Lungenentzündung starb, die er sich beim Paddelbootfahren
zugezogen hatte. Im Spiegel dieser Frühphase des Regimes, als noch
außenpolitische Unsicherheit und Beweglichkeit herrschte, will Graml die
"Nähe und Distanz der Konzeptionen" des Amts zu
nationalsozialistischen Vorstellungen beleuchten. Als Bülow starb
und der deutsche Diktator es sich nicht nehmen ließ, zu seiner Beerdigung zu
kommen, da erhielt er in Nachrufen ein nicht ganz unverdächtiges Lob. Die
Londoner "Times" lobte ihn als ungewöhnlich fähigen Mann, "der
auch zu bremsen wußte". Der langjährige französische Botschafter
Francois-Poncet lobte deutsche Tugenden bei ihm. "Ernsthaft, genau und
pünktlich" sei er gewesen, wenn auch wenig brillant. Graml selbst räumt
ein, daß Bülow "jedesmal völlig gescheitert" sei, wenn er versuchte,
die ihm wirklich am Herzen liegenden Absichten zu verwirklichen. Dieser Mann nun
begann seine Arbeit unter dem neuen Regime im Frühjahr 1933 mit der Abfassung
eines Memorandums, in dem er die Ziele der kommenden deutschen Außenpolitik
skizzierte. Hier empört sich Graml ausnahmsweise einmal zu unrecht über die
Beurteilung von Fischers-Historikerkommission, die den Inhalt des Memorandums
als "mit Hitlers Plänen verwandt" eingestuft hätten. In der Tat
führte Bülow hier weitgehend das an, was den Diktator beschäftigte und er
vier Jahre später in der Hoßbach-Besprechung äußerte. Bülow ließ sich über
die notwendige Aufrüstung aus, den drohenden polnisch-französischen Angriff,
die Aussicht auf den Erwerb des Saarlands und Eupen-Malmedys, das Memelland
und den Anschluß Österreichs. Er empfahl enge Zusammenarbeit mit England und
Italien. Für Polen forderte Bülow eine "totale Lösung", wie es
Außenminister Neurath dann im Kabinett vortrug und wie es einer
stillschweigend gehegten Tradition des Auswärtigen Amts seit 1919 entsprach, wobei
mit totaler Lösung die Rückkehr zu den deutschen Grenzen von 1914 gemeint war
und aus Sicht des AA auf der anderen Seite der Grenze durchaus gern
Sowjetrußland beginnen konnte: "Nur noch eine Teilung Polens",
steht bei Bülow wörtlich. Graml traut sich
nicht, dies im einzelnen auszuführen. Er konstruiert statt dessen einen
umfassenden Gegensatz Bülows zu den nationalsozialistischen Vorstellungen,
den es an diesem Punkt eben nicht gab. Beide strebten den großdeutschen
Nationalstaat in Mitteleuropa an, wobei das Auswärtige Amt den Diktator in
dieser Hinsicht manchmal tatsächlich rechts überholte. Bülows Nachfolger als
Staatssekretär Ernst v. Weizsäcker notierte noch im Winter 1938/39, er habe
empfohlen, Polen jetzt sofort auf einen Rumpfstaat zu reduzieren, während
Hitler wie Minister Ribbentrop zu dieser Zeit Polen noch als Verbündeten
gewinnen wollten. Differenzen
zwischen dem traditionellen "Amt" und den Nationalsozialisten kann
Graml dagegen an anderer Stelle reichlich aufzeigen. In der Tat hielt man im
Auswärtigen Amt nichts von der 1933 neu eingeschlagenen antisemitischen
Politik. Man lehnte die Eingriffe der Partei in die Außenpolitik ab und
sabotierte nach Kräften Hitlers außenpolitischen Vertrauten Joachim
von Ribbentrop. Dies alles ändert nichts daran, daß man im "Amt"
großdeutsch, konservativ und militant revisionistisch dachte. Das hätte Graml
in seinem Alterswerk ruhig auch mal zugeben können.
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