Vernichtungskrieg Besprechungen: Herman Graml:
Hitler und England - Ein Essay zur nationalsozialistischen Außenpolitik
1920-1940, München 2009, 124 S. Mit Hermann Graml
hat einer der älteren Repräsentanten der deutschen Zeitgeschichtsforschung
noch einmal einen Band zur nationalsozialistischen Außenpolitik zwischen 1920
und 1945 vorgelegt, der in essayistischer Form besonders das
nationalsozialistisch-englische Verhältnis unter die Lupe nimmt. Dazu sei es
nötig, so Graml eingangs, einen Blick auf neue Dokumente und auch noch einmal
einen weiteren Blick auf bereits langbekannte Dokumente zu werfen. Er nimmt sich
dafür etwas über 120 Seiten Raum, nach deren Lektüre man zunächst sagen kann,
daß darin die bekannten Dokumente und die bekannten Gedankengänge überwiegen.
Inwieweit man die häufig zitierten Goebbels-Tagebücher als neu bezeichnen
kann, wie es der Klappentext ankündigt, ist etwas fraglich. Immerhin kann es
nicht schaden, diese offen liegenden Quellen noch einmal mit Interesse zu
analysieren, was in der deutschen Zeitgeschichte leider nicht oft geschieht. Auch der Titel
"Hitler und England" ist etwas unglücklich gewählt, denn
tatsächlich nimmt Graml mehr oder weniger das volle Panorama der europäischen
Politik ins Blickfeld, wie es die deutsche Zeitgeschichtsforschung in ihrem
ganzen Elend entworfen hat. Die Löcher in diesem Bild sind gewaltig, die
Absichten aller nicht-deutschen Staaten bloß friedlicher Natur. Den englischen
Regierungschef Chamberlain, der darüber lamentierte, von den Vereinigten
Staaten in den Krieg gegen Deutschland gezwungen worden zu sein, gibt es dort
so wenig wie den Winston Churchill, der 1938 die Deutschen in der Luft
zerreissen und die deutsche Wirtschaft zerschlagen wollte, so daß auf
mindestens hundert Jahre Ruhe sei. Auch der polnische Botschafter Lipski, der
zuversichtlich den Marsch polnischer Truppen auf Berlin erwartet, hat in
diesem Gemälde keinen Platz. Am Ende werden in
Gramls Schrift in zunehmender Frequenz die alten Legenden wieder aufgewärmt,
etwa die, Hitler habe von Polen die Rückkehr Westpreußens als Vorbedingung
für einen Kompromiß verlangt (S. 111), oder die, die lebhaften
deutsch-englischen Verhandlungen über den schwedischen Mittelsmann Dahlerus
in den letzten Augusttagen 1939 seien belanglos gewesen (S. 121), oder die,
die deutschen 16-Punkt-Verhandlungsvorschläge hätten Polen nicht erreicht (S.
123), oder die, es sei der englischen Regierung tatsächlich "technisch
unmöglich" gewesen, wie versprochen am 30. August einen polnischen
Verhandlungspartner in Berlin zu präsentieren (S. 122). Die Liste ließe
sich fortsetzen. Auch die von Graml erneut als echt propagierte angebliche
kriegslüsterne Rede von Generalstabschef Halder im Frühjahr 1939 bleibt eine
englische Fälschung, deren Hintergrund ich neulich aufdecken konnte. (Vgl.
dazu Scheil: Churchill, Hitler und der Antisemitismus, S. 268 ff.) Wenn
jemand den bisherigen, lückenhaften Entwurf der deutschen akademischen
Zeitgeschichtsforschung über die unmittelbare Vorgeschichte des Zweiten
Weltkriegs noch einmal komprimiert nachlesen möchte, ist er somit bei Graml
gut bedient. Man wird dies aber nicht ihm persönlich anlasten dürfen. Die
deutsche Zeitgeschichtsforschung hat sich in ihrer Mehrheit bisher nicht
wirklich darauf eingelassen, die Jahre vor 1939 ergebnisoffen zu untersuchen
und dabei das volle Panorama ins Blickfeld zu nehmen. Sie verharrt
überwiegend noch im Elend des Germanozentrismus und der Legenden. aftlichem Erkenntnisdrang geleitete, Nähe zum Untersuchungsgegenstand haben könnte |
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