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Tomasz Lubienski: 1939 - Noch war Polen nicht verloren, Berlin 2010

Autor Tomasz Lubienski ist der Neffe des gleichnamigen Staatssekretärs im Außenministerium von Minister Josef Beck, der die polnische Außenpolitik zwischen 1932 und 1939 leitete. In "1939 - noch war Polen nicht verloren" wägt er die damaligen Möglichkeiten der polnischen Politik ab. Lubienski weiß, daß Geschichte ein offener Prozeß ist, und er stellt die Frage ganz nüchtern, ob es nicht besser gewesen wäre, sich mit Hitler zu einigen. Denn was verlangte Hitler schon?, so der Autor. Danzig und die Straße durch den Korridor waren doch wirklich keine übermäßigen Forderungen, stellt er fest. Allerdings deutet er den von Deutschland ebenfalls gewünschten polnischen Beitritt zum Antikominternpakt als Offensivvertrag gegen Rußland und hält die politischen und moralischen Kosten einer möglichen deutsch-polnischen Siegesparade in Moskau für zu hoch. Schließlich gibt er zunächst allen ausgiebig Recht, die einen deutsch-polnischen Ausgleich 1939 für unmöglich erklärten.

Lubienski ist aber nicht nur der Neffe eines damaligen Amtsträgers, sondern kann auch auf dessen bisher noch nie berücksichtigte Aufzeichnungen zurückgreifen, die von der Familie erst 2009 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. So liefert er im weiteren einige bemerkenswerte Einsichten in die Entscheidungsfindung der damaligen polnischen Außenpolitik, die Staatssekretär Michal Lubienski damals mit deutlicher Distanz und erkennbarem Erstaunen aufgezeichnet hat. Da sind Außenminister Becks denkwürdige Grundsätze, wie etwa der: "In der Politik zählt nur der, der Schwierigkeiten macht" und seine für einen Militär unverständliche militärische Ahnungslosigkeit. Auch sinnierte Staatssekretär Lubienski über den Zustand einer polnischen Großmachtpolitik, die "nicht auf Konzepte wie die Abtrennung der Ukraine und des Kaukasus (sic) von Rußland verzichtete und weiterhin das Ziel formulierte, sich Danzig, wenn nicht sogar Ostpreußen einzuverleiben." Schließlich machte sich bei Lubienski offenkundig Ratlosigkeit breit, als am 4. September 1939 ein Abteilungsleiter des polnischen Außenministeriums in seinem Büro auftauchte und ihn daran erinnerte, nach dem Endsieg auf den polnischen Kolonialforderungen zu bestehen. Zwar war dies eine öfter erhobene - und heute ebenfalls praktisch vergessene - polnische Forderung, aber sie konnte 1939 schlecht an den Kriegsgegner Deutschland gestellt werden, der nun einmal über keine Kolonien verfügte.

In der Familie Lubienski hält und hielt man von diesen Absurditäten offenbar wenig. So gerät Tomasz Lubienski sein Essay über die polnische Außenpolitik passagenweise zur Abrechnung mit einer prinzipien- und ahnungslosen politischen Führung, die die Nation in den Untergang geführt habe. Schließlich gelang es Beck und seinen Gefolgsleuten im Windschatten der deutschen Politik, den Litauern ihre proklamierte Hauptstadt Wilna abzupressen, nach der Münchener Konferenz ein schönes Stück Tschechoslowakei zu erwerben, ein paar Quadratkilometer der neugegründeten Slowakei und die ebenfalls lang geforderte gemeinsame Grenze mit Ungarn zu erreichen. Daß im Vorfeld die "Öffentlichkeit darauf unglaublich stolz und zufrieden" reagierte, gerade auf die in alle Richtungen und letztlich auch gegen Deutschland betriebenen territorialen Forderungen, gehört mit zum Bild des polnischen Nationalismus der Vorkriegszeit, der hier wieder ein Stück entlarvt wird.