Vernichtungskrieg Besprechungen: Ernst Nolte:
Späte Reflexionen - Über den Weltbürgerkrieg des 20. Jahrhunderts, Wien 2011,
316 S. Die jüngere
deutsche Geschichte vor 1945 ist im Alltag der Bundesrepublik als negativer
Bezugspunkt überaus präsent. Dies ist eindeutig. Weniger eindeutig stellt
sich dagegen die Relation dieser deutschen Vergangenheit zu anderen
Vergangenheiten des 20. Jahrhunderts dar. In seiner neuen Schrift blickt
Ernst Nolte auf die Auseinandersetzungen jener Ära zurück, die diesen Zustand
verursacht haben. Sie tragen für ihn die Bezeichnung "Weltbürgerkrieg".
Wie der Titel verspricht, sind es in der Tat "Reflexionen" über
diese Ära. Teilweise sind sie philosophischer oder aphoristischer Art, aber
an vielen Stellen auch ganz persönliche Anmerkungen. Ernst Nolte betrachtet
sich - und tut das zweifellos mit gewissem Recht - nicht nur als Chronist und
Historiker dieses Bürgerkriegs, sondern zudem als ein durchaus unfreiwilliger
Teilnehmer an dem Konflikt und dessen Nachwirkungen, wie man zwischen den
Zeilen entnehmen kann. Seine
wesentlichen Themen sind, wie stets, die Zusammenhänge zwischen der
Entstehung des NS-Regimes und dem Sozialismus sowjetischer Prägung, dazu der
Zionismus und gelegentlich der Islamismus. Längere Abschnitte sind
Einzelfragen, beispielsweise denen nach der Definition des Lberalismus und
den Grundlagen des Liberalen Systems gewidmet. Aber auch der intellektuelle
Weg Noltes selbst, dessen Stern als Geschichtsdenker Anfang der 1960er Jahre
mit seiner Habilitationsschrift über den "Faschismus in seiner
Epoche" aufging und eineinhalb Jahrzehnte unangefochten strahlte, bis er
langsam in die Isolation und schließlich in einen Konflikt mit dem
bundesdeutschen und internationalen Establishment der Zeitgeschichtsdeutung
geriet, wird hier beleuchtet. Das führt zu
interessanten und detailliert ausgeführten Erkenntnissen über die Wandlungen
politischer Orientierung in der Bundesrepublik. Vieles an Noltes Schriften
lag im Jahr 1960 im Zentrum der akademischen Debatte und wurde dort nicht nur
als innovative Analyse akzeptiert, sondern politisch gesehen eher der Linken
zugeordnet. Seine aus diesem Ansatz heraus folgerichtig weiterentwickelten
Äußerungen galten dann 1986, dem Jahr des notorischen, um Nolte kreisenden
Historikerstreits, mehrheitlich als rechtskonservativ und revisionistisch.
Bemerkenswert konsequent ist deshalb die Deutlichkeit, mit der Nolte im
vorliegenden Buch noch einmal ausdrücklich und prinzipiell der Linken das
historische Recht gibt. Gemeint ist damit nicht das bundesdeutsche Juste
Milieu, sondern diejenige Fraktion, die für ihn in der Neuzeit die
Fähigkeit des Menschen zur "Transzendenz" repräsentiert, also etwa
zur steten Weiterentwicklung der Gesellschaft in egalitärer Tendenz. Der
Nationalsozialismus als Widerstand gegen diese Transzendenz sei von Anfang an
ein Unrecht gewesen, wie auch der Holocaust, das Verbrechen während des
Krieges, für Nolte kategorisch die negativste Untat der Menschheitsgeschichte
darstellt. Den NS-Staat deutet er als ethnisch ausgerichteten Kriegerstaat
ohne jede Zukunft, gewissermaßen den letzten seiner Art. Könnte man in diesen Äußerungen Noltes die Absicht sehen, den Anschluß an den Zeitgeist zu gewinnen, so wird man umgehend eines anderen belehrt. Der Autor erneuert zugleich seine Feststellungen über den "jüdischen Bolschewismus", sowie über einen kausalen Nexus zwischen der Oktoberrevolution und dem Aufkommen des Nationalsozialismus. Er setzt einige vergleichend-negative Anmerkungen über die Grundlagen und die Politik des heutigen Zionismus hinzu, die reichlich zugespitzt und provokant daherkommen. In Israel sieht er letztlich ebenfalls einen ethnisch ausgerichteten Kriegerstaat, der gar nicht anders könne, als zu vergleichbaren Entwicklungen wie seine Vorläufer zu kommen. Das löst Widerspruch aus, ist aber innerhalb von Noltes Gedankenwelt letztlich konsequent. Ernst Nolte ist seinen Positionen in dem jetzt vorgelegten persönlichen Abschluß seines Lebenswerks treu geblieben. Man könnte ihn einen linksliberalen Wissenschaftler nennen, der die unvergangene Vergangenheit bundesrepublikanischer Geschichtspflege an ihre Widersprüche erinnert . |
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