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Rainer Orth: „Amtssitz der Opposition“? – Politik und Staatsumbaupläne im Büro des Stellvertreters des Reichskanzlers in den Jahren 1933/34, Köln 2016, 1118 S.

Eine Schlagzeile, die mit einem Fragezeichen endet, ist bekanntlich ein Zeichen von schlechtem Journalismus. Das Fragezeichen dient dann regelmäßig als Feigenblatt, damit in der Titelzeile ein Begriff verwendet werden kann, den der Autor selbst nicht so wirklich verteidigen kann oder will.

Bei Rainer Orth ist es nun also die Bezeichnung „Opposition“ für das Umfeld des früheren Reichskanzlers und damaligen Stellvertreters Franz von Papen, die den Schutz des Fragezeichens benötigt. Und tatsächlich scheint diese Wortwahl am Ende der Lektüre einigermaßen fragwürdig zu sein.

Orth arbeitet die Charaktere und die Szenerie in Papens Büro in diesem gewaltig umfangreichen Beitrag ausgiebig heraus. Gelegentlich versucht er sich an einer Ehrenrettung für Franz von Papen, ohne an dem Gesamteindruck eines unfassbar oberflächlichen Vizekanzlers etwas ändern zu können, dessen Tun nach einem zeitgenössischen Bonmot von „jener einzigartigen Selbstsicherheit geprägt war, wie sie nur die vollständige Ahnungslosigkeit“ verleihen kann. Papen hatte viel dazu beigetragen, die Republik in der Endphase der Weimarer Zeit zu untergraben und sie politisch jenen Kräften auszuliefern, die mit der Verfassung ein Ende machen wollten.

Nun gruppierten sich in seinem Büro so manche, die zwar auch von der Republik wenig hielten, aber auch der schließlich etablierten nationalsozialistischen Diktatur nichts abgewinnen konnten. Allen voran galt das für Papens Sekretär Edgar Jung. Jung hätte lieber eine Art föderalen Ständestaat etabliert und hatte sich als Vordenker der „Konservativen Revolution“ einen Namen gemacht. Er steht zusammen mit Herbert von Bose und Fritz von Tschirschky im Zentrum von Orths Darstellung. Bei allen mischten sich jugendlicher Radikalismus, Freikorpserfahrung und Verachtung der Massen zu einer revolutionären Grundstimmung.

Nun stand diese Stimmung in keinem guten Verhältnis zu den tatsächlich vorhandenen politischen Möglichkeiten. Der ganze Kreis lebte von der relativen Unabhängigkeit, die der frühe Nationalsozialismus Papens Büro zugestanden hatte. Eine realistische Chance, aus dieser Position ein Staatsumbau vorzunehmen, gab es nicht.

Man kann dieses Milieu hart für dieses Mißverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu kritisieren. Orth tut dies nicht oder nur sehr zurückhaltend. Das letztendlich brutale Schicksal dieser zu Recht mit Fragezeichen versehenen Oppositionsgruppe macht dies auch schwer. Welche Fehler sie auch hatten, sie haben viel zu teuer dafür bezahlt.