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Vernichtungskrieg

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Peer Oliver Volkmann: Heinrich Brüning - Nationalist ohne Heimat, Düsseldorf 2007

Heinrich Brüning gehört zu den Unterschätzten. Der Zentrumspolitiker und Reichskanzler der Weimarer Republik hat sich dies insofern selbst zuzuschreiben, als er sich jahrzehntelang zum Opfer von Machenschaften einer Hofkamarilla um den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg stilisierte, die ihn 1932 kurz vor großen innen- und außenpolitischen Erfolgen gestürzt habe. Zugleich hob er gern hervor, mit seiner Politik als Demokrat derjenige gewesen zu sein, der als einziger wirklicher Hoffnungsträger angesichts der drohenden Machtübernahme der NSDAP habe gelten können. Peer Oliver Volkmann setzt in seiner fast neunhundert Seiten umfassenden Dissertation die Akzente etwas anders. Brüning gilt ihm als "Nationalist", und dies ist keinesfalls schmeichelhaft gemeint.

Volkmann nennt seine Arbeit eine Teilbiographie, was insofern zutrifft, als er eine vornehmlich politische Biographie Brünings liefert, die inhaltlich zudem erst mit der Novemberrevolution einsetzt. Mehr als die Hälfte der Studie sind der langen Zeit von Brünings Emigration gewidmet, die Ende Juni 1934 begann, als Brüning nur knapp der Ermordung entging, aus Deutschland flüchtete und sich fortan im Exil durchschlug. Dabei gelang es ihm, Kontakte bis in die obersten Regierungsetagen in Washington und London aufzubauen und aufrecht zu erhalten, ohne seine politische Unabhängigkeit zu verlieren. Trotz prekärer finanzieller Lage ließ er sich nicht in Kampagnen gegen Deutschland einspannen, die sich, wie Brüning nur zu gut wußte, niemals nur gegen das NS-Regime richten würden, sondern ganz allgemein gegen die Interessen und das Existenzrecht des Deutschen Reichs.

Winston Churchill hatte Brüning schon 1934 angekündigt, Deutschland würde vernichtet werden, wozu der Nationalsozialismus eine passende Gelegenheit liefern würde. Der Ex-Reichskanzler mußte 1938 im Vorfeld der deutsch-tschechoslowakischen Krise erkennen, daß diese Vernichtungsabsicht auf einen "Krieg um jeden Preis" hinarbeitete, wobei nach seinen Informationen im Frühjahr 1939 zwischen England und Polen auch ein Teilungsabkommen geschlossen worden war, das Teile Ostdeutschlands der Republik Polen zusprach. In Washington schien es Brüning ein wenig besser auszusehen, aber seine Gespräche mit Franklin Roosevelt änderten mittelfristig nichts daran, daß auch der US-Präsident mehr und mehr auf Kriegskurs einschwenkte.

Volkmann schildert dies und anderes im Detail, lehnt jedoch genau Brünings ungebrochenen Patriotismus und sein Eintreten für die legitimen Interessen des bei Volkmann stets geflissentlich in Anführungszeichen gesetzten "Vaterlandes" Deutschland als Nationalismus ab. Insofern ist seine Darstellung teilweise tendenziös ausgefallen und enthält die zeittypisch blinden Flecken. Dies geht bekanntlich seit Jahrzehnten so. Bereits Brünings postum veröffentlichte Autobiographie über die Jahre 1918-1934 löste in den 1970er Jahren ein wahres Erdbeben aus, weil der Kanzler hier als Pragmatiker erkennbar wurde, der nicht nur ein Opfer der Kamarilla war, sondern deren Methoden auch selbst anwandte. Zudem hatte Brüning selbst auf eine Regierungsbeteiligung der NSDAP hingearbeitet, die er auf diese Weise eingebunden und entschärft wissen wollte. Daß für deren Aufstieg nicht zuletzt die Finanzierung der Partei durch ausländische Gelder verantwortlich gewesen sei, gehörte dabei zu Brünings Überzeugungen.

Andererseits liefert Volkmann aber einen wertvollen Baustein zu einem vollständigen Bild über Leben und Politik Heinrich Brünings. Als politisch versierter Christ, Nationalist und Anti-Nationalsozialist mußte Brüning in die Isolation geraten, als zuerst die Nationalsozialisten keine Christen und dann die Alliierten keine deutschen Nationalisten in der Politik mehr zulassen wollten. Eine ausgewogene Darstellung des damit verbundenen Dilemmas dieses unterschätzten Nationalisten bleibt jedoch noch zu schreiben.