Vernichtungskrieg Besprechungen: Antje Vollmer:
Doppelleben - - Heinrich und Gottliebe v. Lehndorff im Widerstand gegen
Hitler und Ribbentrop, Frankfurt 2010, 413 S. Die politische
Klasse der Bundesrepublik Deutschland wird nicht zuletzt durch ein
bestimmtes, gemeinsames Geschichtsbild geprägt. Dazu gehört die Überzeugung,
einzig und allein der Widerstand gegen den Nationalsozialismus sei in den
Jahren vor 1945 die angemessene und ehrenwerte Haltung gewesen, an die heute
noch zu erinnern sei. Zu diesem Kreis des traditionswürdigen Widerstands wird
nun in der Regel entweder nur der demokratische Widerstand im engeren Sinn
gerechnet, dazu der kommunistische und kirchliche und schließlich der
Widerwille aller jener Gruppen, die damals als gesellschaftliche Außenseiter
galten, die in der Bundesrepublik aber besondere Aufmerksamkeit genießen, so
zuletzt vor allem die Deserteure. Der
Verschwörerkreis 20. Juli 1944 gehört trotz mancher Sonntagsrede nicht
wirklich zur traditionswürdigen Abteilung der deutschen Geschichte, wie sie
das politische Establishment verstanden haben will. Es ist deshalb ein etwas
ungewöhnlicher Schritt, wenn die frühere Grüne Abgeordnete und
Vizepräsidentin des Bundestags, Antje Vollmer sich an eine Biographie von
Heinrich von Lehndorff gewagt hat, der wegen seiner Beteiligung am
Hitler-Attentat hingerichtet wurde. Vollmer wurde von
der Familie um diese Biographie gebeten. Das merkt man den Buch insofern an,
als eine Reihe von Passagen leider als schwer erträglicher Kitsch bezeichnet
werden müssen. Auch bleibt die Autorin allzu sehr an den heutigen
bundesrepublikanischen Gewohnheiten kleben, wenn sie zusätzlich Lehndorffs
Frau Gottliebe mit in den "Widerstand" hineinschreiben will. Eine
glückliche Ehe, in der man über manches spricht, macht aus einer Ehefrau und zusätzlich
mit der Gutsverwaltung ausgelasteten vierfachen Mutter noch keine
Widerstandskämpferin. Gottliebe von Lehndorff hat diese Rolle selbst offenbar
auch gar nicht beansprucht. Daß im Titel der
Name Ribbentrop fällt, geht auf die Einquartierung des damaligen Außenministers
auf dem Lehndorffschen Landsitz Steinort in Ostpreußen zurück. Ribbentrop
wollte die berühmt-berüchtigte Bunkermentalität des Hauptquartiers im nahen
Rastenburg vermeiden und residierte seit Sommer 1941 etwas auswärts bei
Lehndorffs, wenn er in Ostpreußen war. Dieses Zusammentreffen brachte ein
"Doppelleben" mit sich, das die Lehndorffs bis zum Abend des
20.7.1944 erfolgreich absolvierten. "Widerstand gegen Ribbentrop"
gab es dabei allerdings nicht. Interessant ist
Vollmers Darstellung auf persönlicher Ebene als Schilderung einer sehr
romantischen Ehe. Zeitgeschichtlich ist sie vorwiegend als Bündelung
ungezählter aktueller Klischees und kurioser Behauptungen über die damalige
Zeit zu sehen. Insofern läßt sich das Buch als kulturgeschichtliches Dokument
verstehen, das kommenden Generationen von Historikern der BRD vielleicht
nützlich sein wird, sollten sie die ersten Jahrzehnte des neuen Jahrhunderts
nachvollziehen wollen. Wenn die Lehndorffs - er NSDAP-Mitglied, wofür Vollmer
keine Erklärung findet - je über irgendeinen politischen Aspekt gesprochen
haben sollten, der nicht im Schatzkasten der bundesdeutschen gymnasialen
Oberstufe auftaucht, ist das Vollmer entgangen. Nirgendwo taucht auch nur
ansatzweise ein Gedanke über die politischen Absichten anderer Staaten auf
oder über die unter den Attentätern vielbesprochene Problematik eines
innerdeutschen Widerstands, der vielleicht als unerwünschte Nebenwirkung den
alliierten Krieg erleichtern würde. Den kompromißlosen Zerstörungsfeldzug der
deutschen Kriegsgegner, dem nach 20. Juli 44 bis 1945 noch mehr Menschen zum
Opfer fielen als zuvor, verharmlost sie als Schaffung einer tabula rasa
für die Demokratie. Heinrich v.
Lehndorff soll vor Gericht erklärt haben: "Ich habe
keinen Haß gegen die Partei, ich habe keinen Haß gegen den Führer. Ich habe
gehandelt aus Liebe zu meiner Heimat und zum deutschen Volk." Vollmmer zitiert
das (S. 322) kommentarlos, mit leisen Zweifeln am Wortlaut. Die
bundesdeutsche Demokratie und ihre Repräsentanten können in ihrem gegenwärtigen
Zustand mit Begriffen wie "Heimat", "Volk" und dem 20.
Juli 1944 nichts anfangen, das ist einfach so. Sie finden immer nur sich
selbst, auch wenn sie Bücher über die Vergangenheit schreiben.
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