Vernichtungskrieg Besprechungen: Richard Ziegert:
Zivilreligon - Der protestantische Verrat an Luther, München 2013, 475 S. "Auch der
Bürger, der an den Verbrechen nicht beteiligt war, ja nichts von ihnen wußte,
ist mitschuldig geworden, weil er lässig war gegen die Verkehrung aller sittlichen
Maßstäbe und Rechtsnormen in unserem Volk. Wir können auch uns und unsere
Gemeinden nicht ausnehmen von dieser Schuld." Diese Worte
verabschiedete die in Bethel versammelte Synode der Evangelischen Kiirche in
Deutschland am 13. März 1963 als Teil einer längeren Erklärung. Sie nahm
direkten Bezug auf die damals gerade angelaufenen größeren NS-Prozesse, und
sie forderte im weiteren Verlauf nichts Geringeres als "uns mit den
jetzt Angeklagten vor Gott und sein Gericht rufen zu lassen". Wer nichts
tat und nichts wußte, geschweige denn daß er je irgendwelche Taten gewollt
oder gefördert hätte, der sollte demnach mit den unmittelbar Verantwortlichen
und Ausführenden von Massentötungen auf einer Stufe stehen - und sich in
diesem Sinn bekennen. Mit dieser Erklärung bezog sich die EKD ganz direkt auf
den damals laufenden Auschwitzprozeß, der damit quasi zum Gottesgericht über
das gesamte deutsche Volk verklärt wurde. Dies ist einer
der extremen Gründungstexte jener bundesdeutschen Zivilreligion, über die der
evangelische Theologe Richard Ziegert das hier anzuzeigende Buch geschrieben
hat. Für die Bezeichnung "protestantischer Verrat an Luther gibt es
durchaus Gründe. Denn zu den Grundlagen dieser Religion zählt zum einen, daß
sie eine rein innerweltliche Religion ist, die ihre Legitimität aus der
Konstruktion eines innerweltlichen Sündenfalls bezieht, für den es permanent
Buße zu tun gilt. Dieser Sündenfall
war die nationalsozialistische Ära, die Buße besteht in der Verinnerlichung
eines ewigen Schuldgefühls. Der Verwalter (also der intellektuelle und
materielle Profiteur, wie man hinzufügen muß) dieses Zustands ewiger Schuld
ist die Kirche. Erlösung, Vergessen oder Verzeihung sind nicht vorgesehen.
Eine Unschuldsvermutung kennt dieses "Gottesgericht" der EKD schon
gar nicht. Ziegert arbeitet
im Detail heraus, wo das historisch herkommt, auch schon - lange - vor 1963,
und wie es funktioniert. Aus historischer Perspektive wirkt diese Form der
Zivilreligion ebenso als eine Folge des Vernichtungskriegs gegen Deutschland
wie als dessen Fortschreibung mit anderen Mitteln. Sehr interessant sind denn
auch die Passagen, in denen Ziegert den ausländischen Einfluß auf zentrale
Passagen jener Schulderklärungen herausarbeitet, die nach 1945 abgegeben
wurden.
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