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Vernichtungskrieg

Besprechungen: 

Jürgen Luh: Der kurze Traum der Freiheit – Preußen nach Napoleon, München 2015, 239 S.

„Am Anfang war Napoleon“, so lautet ein altes Bonmot unter Fachhistorikern. Das will sagen, die französische Invasion hätte Anfang des 19. Jahrhunderts die zentralen Voraussetzungen für die neuere deutsche Geschichte geschaffen. Nun ist das auf vielen Ebenen kaum zu bestreiten. Die französische Herrschaft hat das alte deutsche Reich zerstört, sie hat aber Deutschlands staatliche Struktur auch neu geordnet, Länder wie Baden oder Württemberg erzeugt und teilweise Fakten geschaffen, die selbst heute noch politisch wirksam sind. So weit, so wahr. Das ist unter anderem der Grund, warum dies Buch auch hier besprochen werden kann.

Jürgen Luh widmet sich nun den Folgen der katastrophalen preußischen Niederlage im Herbst 1806. Deren Geschichte ist eigentlich schon oft genug erzählt worden. Preußen hatte tatenlos zugesehen, als Frankreich im Sommer des gleichen Jahres das Reich zerstörte. Man hatte politische Geschäfte mit Napoleon Bonaparte getätigt und sich unter anderem mit dem früheren Kurfürstentum Hannover einen Teil des Besitzes der englischen Krone zusprechen lassen. Dafür hatte Preußen die Kriegserklärung Englands und Schwedens kassiert und sah sich, weil Frankreichs Diktator es sich in Sachen Hannover dann anders überlegt und es wieder den Briten angeboten hatte, plötzlich allein der französischen Armee gegenüber. Die folgende Niederlage hatte nicht nur militärischen Charakter, sie umfaßte den vollständigen und ruhmlosen Zusammenbruch des gesamten Staates.

Luh beschreibt dies kenntnisreich. Trotzdem bleibt die Lektüre an manchen Stellen wenig befriedigend. Das liegt wahrscheinlich an seiner allzu großen Fixierung auf „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ als den Idealen, die Frankreichs Truppen angeblich gebracht hätten. Diese Perspektive bleibt immer präsent, obwohl sie von der geschilderten Realität französischer Besatzungsherrschaft in keiner Weise gedeckt wird. Tatsächlich scheint sich das neue Selbstbewußtsein der Deutschen damals eher gegen diese Herrschaft entwickelt zu haben und dabei an Traditionen angeknüpft – oder sie neu entwickelt - zu haben, die im Land selbst angelegt waren.

Zutreffend sind allerdings mindestens zwei Befunde. Der preußische König dachte stets an sich selbst zuerst und erwies sich zu keiner Zeit als derjenige, der den Karren wieder aus dem Dreck ziehen konnte. Und die preußischen „Reformen“ der Jahre vor 1814 legten die Basis für den ostelbischen Großgrundbesitz, der sich in den nächsten hundertdreißig Jahren als das unüberwindliche Hindernis für die wirtschaftliche, demographische und politische Entwicklung Ostdeutschlands herausstellen sollte. Hier arbeitet Luh einen scharfen Gegensatz zwischen den Ansätzen Freiherr vom Steins und Karl von Hardenbergs heraus. Letzterer besiegelte demnach das „Bauernlegen“ der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Alles in allem eine empfehlenswerte Lektüre.