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Vernichtungskrieg

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Bogdan Musial: Kampfplatz Deutschland – Stalins Kriegspläne gegen den Westen, Berlin 2008

Es ist ein Ärgernis anzuzeigen. Bogdan Musial, früherer Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Warschau und derzeit beim polnischen Institut des nationalen Gedenkens beschäftigt, geht schon seit ein paar Jahren den sowjetischen Angriffsplänen auf Europa nach. Er hat dabei in Moskau neue Quellen erschließen können, die den Beginn der sowjetischen Mammutrüstung im Jahr 1929 betreffen und konnte die von vornherein damit verbundene Absicht nachweisen, Polen, Deutschland und Europa anzugreifen. Diese Arbeiten Musials waren innovativ und gewinnbringend. Nun legt Musial als Abschluss dieser Forschungen mit „Kampfplatz Deutschland“ jedoch ein Buch vor, das am Ende ein groteskes Bild zeichnet. Der Eiertanz um die Präventivkriegsthese erreicht einen neuen Höhepunkt.

„Die Behauptungen von der sowjetischen Bedrohung Deutschlands, die zwar real war, von der Hitler in Wirklichkeit gar keine Kenntnis hatte, dienten nur als Vorwand, um den Überfall (auf die UdSSR) zu rechtfertigen.“ Wir erfahren von Musial auf Seite 462 nun also, daß alles weitgehend der Wirklichkeit entsprach, was die Nationalsozialisten seit den zwanziger Jahren immer über die sowjetischen Pläne gedacht und ausgesprochen hatten, daß sie aber davon eigentlich nichts wussten. Die internationale Politik wird hier zur Farce erklärt, zumal auch noch Stalin, wie wir von Musial im weiteren erfahren, von einem geplanten deutschen Angriff angeblich nichts wusste. Um diese Volte zu schlagen, muss Musial etliche entscheidende Dokumente ignorieren, den Schukow-Plan beispielsweise ebenso wie Hitlers Denkschrift zum Vierjahresplan, in der sich der Diktator 1936 besorgt über die Bedrohung durch die Militärmacht Sowjetunion äußerte. Daß Schukow, der Generalstabschef der Roten Armee, im Mai 1941 an Stalin über den dringend nötigen und bereits angelaufenen Angriff der sowjetischen Truppen auf die deutsche Wehrmacht berichtet hat, weiß Musial offenbar nicht. Er verkündet statt dessen ohne weiteren Beleg, die Rote Armee hätte frühestens im Jahr 1943 angreifen können. Die Details des Hitler-Molotow-Gipfels von 1940 mit der sowjetischen Aufkündigung des Abkommens über die Interessensphären verschweigt er ebenso wie sämtliche im Vorfeld des Angriffs belegten Äußerungen des deutschen Diktators, er fürchte einen sowjetischen Angriff. 

Warum Musial zu diesem Vorgehen gegriffen hat, muß offen bleiben. In jedem Fall reduziert dieses Vorgehen den durchaus vorhandenen wissenschaftlichen Wert seiner Arbeit in Bezug auf die sowjetische Rüstung drastisch. Dazu gesellt sich noch eine spürbare Rücksichtnahme auf die speziellen Vorgaben nicht nur deutscher, sondern auch polnischer Geschichtspolitik. So stellt sich Musial auf den Standpunkt, in der Umgebung der nach dem Ersten Weltkrieg völkerrechtlich als Hauptstadt Litauens anerkannten Stadt Wilna und in der Stadt selbst habe es bis 1939 keine Litauer gegeben, womit natürlich die fast zwei Jahrzehnte dauernde Okkupation von Stadt und Land durch polnische Truppen in einem milderen Licht erscheint. Außerdem – man kommt aus dem Staunen nicht heraus – sei zwar der deutsche Angriff auf die UdSSR 1941 kein Präventivkrieg gewesen, der polnische Angriff von 1920 aber schon. Aus Josef Pilsudskis fehlgeschlagenem Versuch, mit einem Russlandfeldzug das polnische Ostimperium von 1772 zurückzuerobern, wird hier in eleganter Weise ein Verteidigungskrieg konstruiert.

Die Reihe an unzutreffenden Behauptungen, falschen Schlussfolgerungen aus den zitierten Papieren und verschwiegenen Tatsachen ließe sich beachtlich vermehren. Es steht dennoch zu befürchten, daß Teile der deutschen Publizistik in die Karrotte beißen und Musial als Kämpfer gegen den Mythos der „friedliebenden Sowjetunion“ feiern werden. Wenigstens das ist er immerhin auch.